Diese Seite unterstützt Ihren Browser nur eingeschränkt. Wir empfehlen, zu Edge, Chrome, Safari oder Firefox zu wechseln.

Miriam und Isabelle von theblood im Interview

Miriam und Isabelle von theblood im Interview

Im Sexualkunde-Unterricht lernen wir in erster Linie über Reproduktion und Prävention – wer über Erregung oder Geschlechtskrankheiten aufgeklärt wird, hat besonders engagierte Lehrer:innen. Themen, wie Consent, verschiedene Geschlechtsidentitäten, Lust oder gar der Zyklus – ob weiblich oder männlich – finden fast nie ihren Weg in unser Schulsystem. Daher ist es kein Wunder, dass viele von uns erst im Erwachsenenalter anfangen, ihren Körper zu verstehen. Gerade beim Zyklus und allem, was damit einhergeht, gibt es noch immer riesige Wissenslücken, nicht nur in unseren eigenen Köpfen, sondern auch in der Forschung. Diese sind Teil des Gender Health Gaps oder auch des Gender Data Gaps. Wir haben zum Beispiel erst in den letzten Jahren gelernt, dass Periodenschmerzen nicht normaler Bestandteil der Periode sind, sondern ein Anzeichen dafür, dass eventuell etwas nicht stimmt, oder, dass PMS nicht nur mit Migränen, Unterleibkrämpfen, oder Wassereinlagerungen einhergehen kann, sondern auch mit Übelkeit, Depressionen oder sogar Angstzuständen.


Das Berliner Health Start-up theblood will das ändern. Die beiden Gründerinnen Miriam Santer und Isabelle Guenou helfen uns, unsere Körper besser zu verstehen, indem sie nicht-invasive Bluttests anbieten. Das bedeutet konkret: theblood testet dein Menstruationsblut und erstellt dir ein umfangreiches Blutbild – von Hormonwerten bis Vitaminmangeln. Die Tests werden dann in den Kontext deines Zyklus gesetzt. Inklusive Ernährungs- und Lifestyle-Tipps.

Wir haben mit den beiden theblood Gründerinnen über vermasselte Sexualkunde, den Gender Health Gap, was sich aktuell am FemTech Markt tut und warum es so wichtig ist, sich selbst und seine Hormone besser kennenzulernen geredet.

 

nevernot: Es gibt einen Gender Health und Data Gap: Frauen werden bei der Medikamentenforschung weniger berücksichtigt, bei starken Symptomen werden sie weniger ernst genommen, und “Frauenkrankheiten”, wie Endometriose oder PMS sind noch viel zu wenig erforscht. Was können wir uns von theblood erhoffen?


Isabelle: Theblood liefert Frauen gezielte Gesundheitsdaten zur Selbstbestimmung über ihren Körper. Wir schließen die Gender Data bzw. Gender Health Gap (jetzt auch unseren Artikel über den Gender Health Gap lesen), indem wir einen neuartigen Ansatz verfolgen und zuvor weggeworfenes Material für unsere at-home Tests verwenden: Menstruationsblut. Wir agieren als Schnittstelle und wollen Frauen mit Schmerzen oder starken Hormonschwankungen direkt helfen und an konkrete ausgewählte Expert:innen vermitteln.


Miriam: Unser Ziel ist es, ein Produkt auf den Markt zu bringen, von dem Menschen, die menstruieren, in vielen verschiedenen Phasen ihres Lebens profitieren und welches Ihnen Selbstbestimmung und Autonomie über den eigenen Körper gibt. Es gibt mehrere Abschnitte im Leben eines Menschen, in denen die Verwendung unseres Testkits wichtig ist. So z.B.: Im Teenageralter, wenn die Pille abgesetzt wurde, für Frauen mit starkem Fokus auf Gesundheit und Wohlbefinden, bei Haut- und Haar- oder diversen hormonellen Problemen, bei Fruchtbarkeitsfragen, Gender-Fragen, Peri-Menopause, sportliche Leistungssteigerung und vielem mehr. Für all diese Fälle bieten wir eine Datenbank an, die es bisher nicht gab, und mit dem kombinierten und erweiterten Wissen über die weibliche Gesundheit können wir Menschen, die menstruieren, genau das geben, was sie brauchen.


nevernot: Wenn wir mal über das zugrundeliegende System hinweg sehen, dann ist eines unserer Hauptprobleme, dass sich Therapeut:innen und Psycholog:innen nicht mit Gynäkolog:innen austauschen, oder sie auf dem jeweils anderen Gebiet keine Kenntnisse aufweisen können. Wie können wir dieses Problem angehen?


Miriam: Das hat verschiedene Ursachen. Leider ist es in der Schulmedizin üblicher, Symptome zu behandeln als Ursachen zu erforschen. Die Problemlösung selbst in die Hand zu nehmen, ist aus Patientensicht häufig sehr zeitaufwändig. Zeit ist ein entscheidender Faktor auch bei den behandelnden Ärzt:innen. Ein zweiter Aspekt ist die Digitalisierung in Deutschland, über die man sich wirklich sehr schön aufregen kann, weil sie immer noch sehr langsam vorangeht. Die elektronische Patientenakte wäre schon einmal ein guter Anfang, in Deutschland wird sowas aber leider nicht sexy vermarktet. Daten sind nun mal ein wichtiger und moderner Zugang zu Wissen, mit dem richtigen Datenschutz und Knowhow wird das viele Probleme lösen können.


nevernot: Wer sich sicher ist, dass die eigene mentale (oder auch physische) Gesundheit vom Zyklus abhängig ist und zum Arzt geht, wird meist ohne zufriedenstellendes Ergebnis nach Hause geschickt. Wie kann man diesen Prozess richtig angehen?


Miriam: Die Schnittstelle zwischen dem weiblichen Zyklus und mentaler Gesundheit ist noch ebenso unerforscht wie unterfinanziert. Natürlich gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen physischer und psychischer Gesundheit und gerade bei hormoneller Verhütung sind Nebenwirkungen, wie Traurigkeit oder Depressionen bekannt. Man kann den praktizierenden Ärzten hier aber leider nur bedingt Vorwürfe machen, da einfach noch aufbereitetes Wissen fehlt, um konsequent wissenschaftliche Schlüsse ziehen zu können.


Isabelle: In einem ersten Schritt hilft es schon viel, das eigene Bewusstsein über den Körper zu vertiefen. Es gibt unterschiedliche Apps auf dem Markt, mit welchen sich Symptome analog zum Zyklus verfolgen lassen. Wichtig ist, dass man diese Datenansammlung ernst nimmt und auch fleißig Tagebuch führt. So lässt sich dann eine gute Grundlage schaffen, um das Arztgespräch selbstbestimmt führen zu können. Das ist auch Ziel unserer Menstruationsblutanalyse: eine neue, regelmäßige Datenquelle, die uns endlich die erhofften Antworten liefert. Allgemein werden wir in den kommenden Jahren einiges an Innovationen erleben, denn die Märkte im Bereich FemTech und Mental Health wachsen enorm.


nevernot: Wie genau funktioniert euer Konzept?


Isabelle: Wir entwickeln ein at-home Testkit zur Analyse von Menstruationsblut, welches die Grundlage für individuelle, monatliche Gesundheitsreports darstellt. In unserer App übersetzen wir die Auswertung des Menstruationsblutes in personalisierte Gesundheitsberichte über Vitamin- und Hormonhaushalt und ergänzen das mit Empfehlungen bzgl. Ernährung und Supplements. Damit können unsere Nutzer:innen ihre körperlichen Veränderungen monatlich nachverfolgen, ihre Werte aktiv verbessern und in Therapie und Expert:innengesprächen gezielter agieren.


nevernot: Ist theblood aus einem persönlichen ‘Need’ heraus entstanden?


Isabelle: Ja, Miriam und ich haben selbst Erfahrungen mit Endometriose und PCOS gemacht, wir wissen also genau wie lange es dauert, bis man die richtige Diagnose erhält und wie verloren man sich auf dem Weg fühlen kann. Als ehemalige Leistungssportlerin möchte ich nicht nur ein funktionierendes Produkt auf den Markt bringen, sondern auch eine echte Veränderung im Gesundheitssystem für Frauen bewirken. Wir wollen, Menschen die menstruieren und vor allem Frauen dabei unterstützen, ihren Körper besser kennenzulernen, um selbstbestimmt und autonom Entscheidungen zu treffen.


theblood Test-Kit

nevernot: Ihr habt eure Idee letztes Jahr beim Grace Accelerator weiterentwickelt und gepitcht – und ihr habt gewonnen. Was waren eure größten Aha-Momente seitdem?


Isabelle: Es ist toll, wie unglaublich unterstützend die gesamte Community bei Grace ist. Ich bin immer noch eng im Austausch mit anderen Gründer:innen und Mentor:innen. Mein größter Aha-Moment war dennoch das persönliche Coaching. Ich habe als junge Gründerin gelernt, wie essentiell es ist, auf seine eigene Vision und sein Bauchgefühl zu vertrauen. „Gib einfach nicht auf und glaube an dich.“ – Das hab ich gelernt.


nevernot: Im Bereich FemTech und FemHealth tut sich gerade enorm viel. Was wird in den nächsten Jahren in der Industrie passieren?


Miriam: Wie eben schon kurz angesprochen, konzentrieren sich sehr viele Innovationen derzeit auf den Bereich der weiblichen Gesundheit, ganz einfach, weil hier auch noch so viel passieren muss. In den letzten Jahren gab es eine regelrechte Welle an Anbietern für Fruchtbarkeits-Probleme und Kinderwunsch, Menopause und mentale Gesundheit. Auch der at-home Testing Bereich ist enorm gewachsen, was nicht nur an der Corona-Pandemie liegt, sondern auch daran, dass die Bereitschaft in der Bevölkerung für Gesundheitsanwendungen gestiegen ist.


Isabelle: Alle diese Pioniere, die in den letzten Jahren den Markt geprägt haben, bilden das Fundament, auf welchem wir mit theblood jetzt aufbauen können. Die Produkte werden ausgereift, die Wissenschaft vertieft und je mehr Erkenntnisse wir allgemein über die weibliche Gesundheit sammeln, desto besser können wir auch auf individuelle Bedürfnisse eingehen.


nevernot: Das Thema hat enorm viel mit Bildung und Körperbewusstsein zu tun, und ist dementsprechend wahrscheinlich aktuell nur für einige wenige Menschen außerhalb einer bestimmten Bubble erreichbar. Wie können wir es zugänglicher machen?


Isabelle: Das stimmt und man kann glücklicherweise sagen, dass Wissen über die Menstruation und den weiblichen Zyklus in den letzten Jahren flächendeckend zugenommen hat. Aber das Wissen wird hier häufig nicht zentral über den Sexualkunde-Unterricht vermittelt (wer hat denn damals wirklich viel gelernt?). Die interessanten Gespräche finden mit Freund:innen, Familie und oft außerhalb des akademischen Kontextes statt. Wichtig ist natürlich, dass auch diejenigen, die kein so unterstützendes Umfeld haben, ausreichend informiert sind und Zugang zu diesem Wissen haben, denn es ist der Schlüssel zur Selbstbestimmung und hilft dabei, eigene Entscheidungen zu treffen. 


Miriam: Was nun auch schon passiert und weiter ausgebaut werden kann, ist die Unterstützung durch Online-Communities, Foren und Blogs. Auch Marken, die auf Wissensvermittlung und Bildung über Social-Media setzen, helfen dabei, diesen Zugang zu erweitern.


nevernot: Und auf welchem Stand seid ihr aktuell mit theblood?


Miriam: Wir haben Ende Juli das erste Closing unserer Finanzierungsrunde mit Business Angels abgeschlossen und legen nun wieder den Fokus ganz auf die Produktentwicklung. Damit ist das Team nun auch schon auf sechs tolle Mitarbeiter:innen gewachsen und der erste große Produkttest ist abgeschlossen. Wir hatten unglaubliche 500 Anmeldungen in drei Tagen und das sicherlich auch aufgrund der tollen Goodie Bag! Jetzt gilt es die Daten auszuwerten und strategisch zu planen, wann und wie der Markteintritt stattfindet. Wir können es kaum abwarten, endlich an den Start zu gehen!

← Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag →

IMG_7119

Die Autor:in

Nele Tüch

Nele war Senior Brand und Content Managerin von nevernot und schreibt Artikel an den Schnittstellen von Themen, wie sexuelle Befreiung, Feminismus und Gender-Theorien.